Ethische Fragen

Ethische Fragen sind nicht allgemeingültig; sie stellen sich immer in einem bestimmten Zusammenhang (beispielsweise sozial, politisch, europäisch). Bei der Beantwortung ethischer Fragen sollen die Interessen aller Beteiligten an einer Sache berücksichtigt und ein möglicher Schaden gering gehalten werden.

Wissenschaftler*innen haben eine ethische Verpflichtung gegenüber der Wissenschaftsgemeinschaft, aber auch gegenüber der gesamten Gesellschaft. Die Wissenschaft und ihre unterschiedlichen Disziplinen (also Bereiche) legen in ethischen Richtlinien fest, was im Forschungsverlauf zu beachten ist. Hier geht es beispielsweise darum, dass den an der Forschung Beteiligten kein Schaden entstehen darf und dass die Namen der Beteiligten unkenntlich gemacht werden müssen. In der Partizipativen Forschung möchten die Akteurinnen und Akteure aber vielleicht mit ihrem Namen genannt werden, weil sie entscheidend zum  Forschungsverlauf beigetragen oder die Ergebnisse mitbestimmt haben. Dann muss gemeinsam überlegt werden, wann und wo dies sinnvoll ist und ob dadurch niemandem ein Schaden entstehen kann.

Die meisten Praxisbereiche haben eigene ethische Richtlinien (beispielsweise Kindergärten, Krankenhäusern, Drogenhilfe, Wohnungslosenhilfe). Auch hier geht es um Vertraulichkeit und Schweigepflicht sowie darum, einen möglichen Schaden zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten. Aber wissen diejenigen, die in der Praxis arbeiten, immer genau, was ihren Klient*innen, Patient*innen oder Kund*innen schadet? Manchmal wissen die Klient*innen, Patient*innen oder Kund*innen das selbst, aber manchmal wissen sie das selbst nicht. Was genau ein Schaden für wen bedeutet, ist schwer zu bestimmen. Einen möglichen Schaden vorauszusehen, ist nur selten möglich. Das ist eine schwierige ethische Frage. 

Mitarbeiter in einer Verwaltung müssen vielleicht entscheiden, ob sie Gelder an ein Krankenhaus oder an eine Schule geben. Das ist auch eine schwierige ethische Frage.

Menschen in ihrer Alltagswelt und mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen organisieren ihr Zusammenleben in Gruppen meist nach bestimmten Regeln. Diese Regeln hängen davon ab, wer die Menschen sind und woher sie kommen. Menschen außerhalb dieser Gruppen kennen die Regeln des Zusammenlebens nicht; sie wissen nicht, wie man sich innerhalb der Gruppe verhält, über was man spricht und über was man nicht spricht. Das kann oft zu Missverständnissen führen. Über ethische Fragen zu sprechen ist schwierig, weil jede Gruppe ihre eigenen Vorstellungen hat.

Personen oder Personengruppen, die besonders verletzlich erscheinen (beispielsweise Menschen ohne legalen Aufenthalt in Deutschland, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen mit einer Alkoholerkrankung, Wohnungslose, Menschen in Haft) können nicht immer durchgängig in lange Forschungsprozesse eingebunden werden. Hier ist die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen besonders wichtig, damit den Menschen kein zusätzlicher Schaden entsteht.

Das bedeutet, dass jeder Bereich seine eigenen ethischen Richtlinien und Vorstellungen hat. Gleichzeitig aber entstehen durch die Zusammenarbeit in einem Forschungsprozess völlig neue ethische Fragestellungen, die sowohl Einzelne als auch alle Beteiligten betreffen. Sich hier gegenseitig zu verstehen, ist nicht immer leicht. Es ist viel Zeit und Vertrauen nötig, um Antworten auf die ethischen Fragen zu finden, die sich im Forschungsverlauf immer wieder neu stellen.

Siehe auch:

International Collaboration for Participatory Health Research (ICPHR) (2013). Position Paper No. 2: Participatory Health Research. A Guide to Ethical Principles and Practice. Berlin: International Collaboration for Participatory Health Research.

Banks, Sarah; Brydon-Millder, Mary (Hg.) (2018). Ethics in Participatory Research for Health and Social Well-Being. Cases and Commentaries. Abingdon; New York: Routledge.