Das partizipative Forschungsprojekt GESUND! widmete sich dem Themenbereich Gesundheitsförderung für und mit Menschen mit Lernschwierigkeiten. Unsere übergeordneten Fragestellungen lauteten:
- Wie kann Gesundheitsförderung für Menschen mit Lernschwierigkeiten gemeinsam mit ihnen im kommunalen Umfeld gestaltet und verankert werden?
- Wie gelingt partizipative Gesundheitsforschung mit Menschen mit Lernschwierigkeiten?
Um diese Fragen beantworten zu können, planten wir im Projektverlauf verschiedene Studien und entwickelten unterschiedliche Maßnahmen.

1. Förderphase (2015-2018)
Die Ausgangssituation für die Umsetzung des Projekts war das Setting einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Bezirk Berlin-Lichtenberg. Das Team der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) arbeitete eng mit den LWB - Lichtenberger Werkstätten gemeinnützige GmbH zusammen, und erreichte dadurch einen niederschwelligen Zugang zu der Adressat*innengruppe Menschen mit Lernschwierigkeiten. Mithilfe von Treffen auf Leitungsebene und einer Befragung unter Werkstatt-Beschäftigten (N = 90) wurde die Ausgangssituation und der Bedarf an Gesundheitsförderung vor Ort erhoben.
Von September 2015 bis Juni 2016 folgte die Planung und Durchführung eines Kurses mit dem Titel: „Gesundheitsforscherin ∕ Gesundheitsforscher in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)“. Das Bildungsangebot zielte darauf ab, die Gesundheitskompetenz der Teilnehmenden (N = 14) zu stärken und sie auf einen gemeinsamen Forschungsprozess vorzubereiten. Der Gesundheitskurs gliederte sich eine kursspezifische Phase, in der Gesundheitswissen und Kompetenzen vermittelt wurden, und eine projektorientierte Phase. In der projektorientierte Phase wurden die Teilnehmenden darin unterstützt, eigene Fragestellungen zu bearbeiten. Die Kursgruppe teilte sich in zwei gemischte Forschungsteams, bestehend aus Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Rolle als Mitforschende und Mitarbeitenden der KHSB als akademisch Forschende. Die Mitforschenden wählten die beiden Themen „Gesundes Essen“ und „Lärm im Betrieb“ für die Projektphase aus. Die Forschungsteams realisierten Befragungen in unterschiedlichen Abteilungen der WfbM, führten ein Fotoprojekt durch, deckten Probleme auf und entwickelten Empfehlungen und Lösungsstrategien für die LWB.
Ausgewählte Lehr- und Lernmaterialien aus dem Gesundheitskurs haben wir in der Broschüre „Gesundheitsförderung mit Menschen mit Lernschwierigkeiten. Leichter lernen mit dem Projekt GESUND!“ zusammen mit dem vdek open access veröffentlicht.
Zudem initiierten wir durch die Einführung von Gesundheitszirkeln eine betriebliche Gesundheitsförderung in der Werkstatt und organisierten zwei Kunstprojekte: ein partizipatives Rap-Projekt mit dem Künstler Graf Fidi und ein Graffiti-Projekt in Abstimmung mit Stromnetz Berlin zur Gestaltung von fünf Stromkästen. LWB-interne Präsentationen, die Ehrung der Teilnehmenden sowie öffentliche Ergebnispräsentationen bildeten den Abschluss der Aktivitäten innerhalb der kooperierenden WfbM.
Nachfolgend richteten wir den Fokus auf kommunale Themen und Fragestellungen und verlegten unsere Aktivitäten von der WfbM an die Hochschule. Dort führten wir von Oktober 2016 bis April 2017 ein inklusives Seminar mit dem Titel „Gemeinsam forschen in Lichtenberg“ durch. Ziel des Seminars war es, die Sicht von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf gesundheitsförderliche und gesundheitshinderliche Aspekte in ihrem unmittelbaren Sozialraum zu erfassen. Mit der Methode Photovoice suchten wir in einem partizipativen Prozess Antworten auf die Fragen: Was erhält uns gesund in Lichtenberg? Was macht uns krank in Lichtenberg? Die Ergebnisse, die die Perspektive der Mitforschenden auf ihren Bezirk deutlich machten, wurden zusammengeführt und im Rahmen einer Ausstellung auf Roll-ups präsentiert. Es folgten eine Abschlussfeier und die Ergebnispräsentation an mehreren Orten in und außerhalb von Berlin.
In Zusammenarbeit mit inforo haben wir einige unserer Arbeitsmaterialien zu Photovoice aufbereitet, damit Interessierte sie für eigene inklusive/partizipative Projekte nutzen können.
Zum Ende der ersten Förderphase von GESUND! konzentrierten wir uns auf eine übergreifende Datenauswertung und Reflexion der partizipativen Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang führten wir unter anderem eine GESUND!-Schreibwerkstatt durch. Das Forschungsteam der Schreibwerkstatt bestand aus drei Autor*innen (Mitforschenden) und drei akademisch Forschenden. Von September bis Dezember 2017 traf sich die Gruppe regelmäßig, um die Sicht der Mitforschenden auf das Erlebte und Erforschte in GESUND! zu dokumentieren und in Form von Geschichten festzuhalten (siehe Kap. 4 in unserm Buch „Gemeinsam forschen - gemeinsam lernen. Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Partizipativen Gesundheitsforschung“).
2. Förderphase (2018-2021)
Auf Grundlage der in der ersten Förderphase gewonnen Erkenntnisse setzen wir unsere Arbeit fort und fokussierten auf das Thema Gesundheitsbildung für und mit Menschen mit Lernschwierigkeiten. Unsere Hauptziele in dieser Projektphase waren die partizipative Entwicklung und Erprobung von Gesundheitsseminaren sowie die Qualifizierung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als (Co-)Referent*innen für diese Seminare.
Zu diesem Zweck wurde ein inklusives Team zusammengestellt, bestehend aus sieben Beschäftigten der LWB und vier Mitarbeitenden der KHSB. Die Werkstatt schloss mit der Hochschule Teilzeitbeschäftigungsverträge ab. Das inklusive Team traf sich regelmäßig an der Hochschule, zumeist einmal wöchentlich, um gemeinsam Gesundheitsseminare zu entwickeln. Der partizipative Arbeitsprozess wurde dabei von neun Schritten strukturiert. Zum Beispiel wurden, nach gemeinsamer Festlegung des Gesundheitsthemas, Informationen gesammelt, Ziele formuliert, Seminarmaterial erarbeitet, sowie Probeseminare durchgeführt und ausgewertet.
Die Mitforschenden gestalteten die Abläufe, Methoden und Materialien für die Seminare mit. Ein wichtiger Aspekt war dabei eine passgenaue Methodik und Didaktik zu finden. Wir entwickelten daher Materialien in leicht verständlicher Sprache und ergänzten sie mit visualisierende Methoden, etwa aus dem Bereich der Foto-/Videografie. Die Mitforschenden aus der LWB lernten zudem, die Seminare im Sinne von peer-to-peer-education mit Unterstützung selbst anzuleiten. Auf diesem Weg sind insgesamt vier Seminare entstanden: Bildungsangebote von Menschen mit Lernschwierigkeiten für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Die LWB hat nach Fertigstellung des letzten GESUND! Seminars im Herbst 2020 damit begonnen, eine eigene GESUND! AG aufzubauen. Die Werkstatt möchte die entwickelten Seminare für ihre eigenen Mitarbeitenden als Bildungsangebot nutzen und sie darüber hinaus als Inhouse-Weiterbildung anderen Werkstätten und Sozialeinrichtungen anbieten. Die Mitforschenden des Projekts gehören dieser Abteilung an und agieren dort als GESUND! Expert*innen und Seminarleitungen.
Einen Überblick zu den vier GESUND! Seminaren mit entsprechenden Flyern und Videos haben wir auf dieser Seite zusammengestellt. Eine Veröffentlichung der Curricula und Seminarmaterialien ist derzeit in Arbeit.
Welche (Aus-)Wirkungen unserer Arbeit hatte, können Sie in der GESUND! Wirkungsbeschreibung nachlesen.